


(A) Ausgangssituation
Der ADHS-Patient
- hält Absprachen und Vereinbarungen nicht ein
- erledigt ihm übertragene Aufgaben nur unvollständig, unzureichend oder gar nicht
- versäumt Termine oder kommt deutlich zu spät
- findet Arbeitsergebnisse und wichtige Unterlagen nicht wieder
Die Betroffenen im Umfeld
- sind genervt, da häufiges Nachfragen sie aus ihrer Arbeit und ihren Gedanken herausreißt
- sind verärgert, da ein und dieselben Fragen immer wieder gestellt werden und der Eindruck entsteht, der ADHS-Patient würde nicht zuhören oder nicht verstehen
- sind verunsichert, da sie nicht immer einschätzen können, ob der ADHS-Patient nicht will oder nicht kann
- sind ungeduldig, da sie ständig auf den ADHS-Patienten warten müssen
- sind zermürbt, da sie häufig versucht haben, eine Verbesserung herbeizuführen und bislang damit gescheitert sind
- sind ratlos, da sie nicht wissen, wie sie den ADHS-Patienten unterstützen können, auf eigenen Füssen zu stehen und zu einem selbständigen und verantwortungsvollen Erwachsenen zu werden
(Z) Zielsituation
Muss
- Aufgaben. Kann Aufgaben selbständig und im Team erledigen
- Termine. Kennt Ort, Zeit, Ziel, Ablauf eines Meetings
- Finden. Kann wesentliche Ergebnisse, Aufzeichnungen, Notizen wiederfinden
Soll
- Überblick. Kennt Zusammenhänge, kann Ziele und Prioritäten abstimmen
- Details. Kennt Ziele, Kriterien, Anlässe, Gründe und kann Vorgehen abstimmen
Kann
- One4all. Möglichst ein System, Prozess, Template (inkl. Rollen, Werkzeuge) für alle Situationen, Anlässe, Kontexte
Kriterien
- schnell, so dass es eingesetzt wird
- einfach, so dass es verstanden wird, auch von Personen, die nur gelegentlich einbezogen werden
- übersichtlich, so dass sich alle Beteiligten gut orientieren können
- nachvollziehbar, so dass der Betroffene und sein Umfeld einbeziehen, über Status und Fortschritt informieren, weitere Aktionen abstimmen kann
- flexibel,so dass es möglichst für alle Anlässe und Situationen verwendet werden kann
- skalierbar, so dass sowohl keine Aufgaben und große Projekt mit einem Set an Methoden und Werkzeugen
- diskret, so dass die Aufgabe und nicht die Krankheit im Vordergrund stehen
- fundiert, so dass es von allen mitgetragen wird
(1-2-3) Maßnahmen
- Verstehen. Herausforderung, Situationen, Anlässe, Rahmenbedingungen verstehen
- Wesentliche Probleme und Ziele durch persönliche Interviews des Betroffenen ermitteln
- Verständnis der Situation und Auswirkungen absichern durch persönliche Interviews des Umfelds
- Konzept entwickeln und Eigen-Test
- Erstellen eines ersten Lösungs-Konzepts
- Abstimmung mit dem Patienten und ausgewählten Personen des direkten Umfelds
- Fremd-Test
- Eigentest, um praktische Erfahrungen zu sammeln und Alltagstauglichkeit abzuschätzen
- Betroffenen-Test
- Tests des Lösungs-Konzepts auf Alltagstauglichkeit und persönliche Passung mit ausgewählten Personen
- Erkenntnisse zusammenführen und Anpassung des Lösungs-Konzepts
- Tests wiederholen, bis ein zufriedenstellendes Ergebnis aus Sicht der Betroffenen erreicht wird
- Umfeld-Test
- Erweiterung des Tests auf Personen, die nicht in die Erarbeitung der Lösung eingebunden waren (Härtetest)
- Start und Roll-out
- Ressourcen-orientierte Umsetzung
- Veröffentlichung im Kreise der anfänglich involvierten Personen.
Details
Interviews
- Erlebnisse
- Welches sind die Erlebnisse, die Sie als typisch bezeichnen?
- Nennen Sie persönliche Erlebnisse und solche, die Ihnen durch Hören-Sagen zu Ohren kamen.
- Aufgaben
- Was sind typische Aufgabenstellungen, die zu erledigen sind?
- Was beinhalten sie in der Regel? Wie kommen sie zustande? Wer sind Auftraggeber und wer Abnehmer? Wie werden sie kommuniziert und abgestimmt?
- Abläufe
- Welches sind typische Abläufe?
- Nennen Sie solche, die täglich oder häufig vorkommen.
- Arbeitsweisen
- Was sind typische Arbeitsweisen?
- Nennen Sie solche, die täglich oder häufig vorkommen.
- Betroffenheit
- Wer ist betroffen?
- Anlässe?
- Ausmaß und Häufigkeit? (hoch/niedrig und oft/selten)
- Aspekte
- Woran ist noch zu denken? Was könnte noch wichtig sein?
Kriterien
Das Ziel ist erreicht, wenn der ADHS-Patient Auskunft erteilen kann zu:
- Orientierung. Er weiß, wo er sich befindet, was hinter und vor ihm liegt (räumlich, inhaltlich)
- Overview. Er hat einen Überblick – sein Leben, seine Position, seine Rolle
- Relevanz. Er kennt die relevanten Details – seine Arbeit, seine Freizeit, seine Aufgaben
- Zuverlässigkeit. Er erledigt abgestimmte Aufgaben zur Zufriedenheit aller Betroffenen
- Pünktlichkeit. Felix ist an Treffpunkten und erledigt Aufgaben zur vereinbarten Zeit
- Archiv. Er weiß, was er wo hat – oder wie er es wiederfindet
Weitere wesentliche Aspekte:
- Ursache & Wirkungen. Konzentration auf die wesentlichen Ursachen, nicht auf die Symptome.
- Verhalten & Reaktionen. Welche Verhaltensweisen führen zu besonders heftigen Reaktionen beim Umfeld?
- Flucht & Angriff. Wo reagieren die beteiligten Personen eher offensiv, wo defensiv?
- Eigenschaften & Situationen. Welche Ereignisse und Verhaltensweisen sind auf das ADHS zurückzuführen, welche sind situativ oder charakterlich bedingt?
- Rational & Emotional. Aufgrund des Krankheitsbildes reicht eine sachliche Betrachtung allein nicht aus. Es müssen insbesondere auch die emotionalen Aspekte berücksichtigt werden – bei allen direkt und indirekt betroffenen Personen.
- Betroffenheit & Ausmaß. Wer ist alles vom ADHS betroffen – direkt und indirekt – und in welchem Ausmaß?
Fakten und Hintergründe
ADHS (AufmerksamkeitsDefizit-HyperaktivitätsSyndrom, Zappelphilipp-Syndrom, Hyperkinetische Störung / HKS) wird in seiner Tragweite häufig unterschätzt. Wesentliche Merkmale des Krankheitsbildes treten in folgenden Bereichen auf:
Wahrnehmung
- extrem vergesslich, hat geringes Erinnerungsvermögen
- leicht ablenkbar, ist stark beeinträchtigt in der Aufmerksamkeit
- sehr unkonzentriert, hat geringes Konzentrationsvermögen
- sehr impulsiv, handelt spontan ohne zuvor darüber nachzudenken
Motorik
- sehr unruhig, wirkt zappelig
- etwas ungeschickt, hat Schwächen in der Feinmotorik
- wirkt grob, hat Schwierigkeiten, die richtige Kraftdosierung zu finden
Da die Wahrnehmung und die Motorik grundlegende Funktionen des Menschen sind, hat ADHS sehr weitreichende Folgen für die Betroffenen aber auch deren Umfeld.
- geringes Durchhaltevermögen – da ablenkbar und vergesslich
- unorganisiert, hat Schwierigkeit planvoll zu handeln – da ablenkbar und vergesslich
- passiv, wirkt antriebslos und träge – da wenig Erfolgserlebnisse und häufige Zurückweisungen
- empfindlich, fühlt sich zurückgewiesen – da Kritik auf die Person statt auf Handlung und Umstand bezogen wird
- zurückgezogen – da lieber allein als abgelehnt
- verzögerte Sozialisation – da zurückgezogen
- niedrige Frustrationsschwelle, wirkt dadurch gelegentlich aggressiv – da wenig Erfolgserlebnisse und häufige Zurückweisungen
- ausgeprägter Gerechtigkeitssinn – da viel persönliche Erfahrung mit Ungerechtigkeit
- erhebliche Beeinflussbarkeit
- schnelle Ermüdung, sowohl physisch als auch psychisch – da der erhöhte Einsatz in Wahrnehmung und Motorik viel Energie kostet
Das Umfeld erkennen häufig nur einige wenige Symptome:
- im Kindesalter: Legasthenie, Lese-, Rechtschreib-, Rechenschwächen, Tic-Störungen
- im Erwachsenenalter: Ängste, Depressionen, Suchtverhalten
ADHS betrifft zirka 4-8 % aller Kinder und Jugendlichen. Jungen sind etwas 3-5 Mal so oft betroffen wie Mädchen. Die Ursachen von ADHS sind wissenschaftlich bisher nicht eindeutig geklärt. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um ein Ungleichgewicht von Aufnahme und Ausschüttung von Botenstoffen. Diese sogenannten Neurotransmittern (Dopamin, Noradrenalin) werden vom Körper selber produziert und dienen zur Signalübertragung. Dabei werden Informationen (Reize) von einer Nervenzelle zur nächsten weiter geleitet. Dopamin steuert Antrieb und Motivation. Noradrenalin sorgt für Aufmerksamkeit. Bei einem Mangel dieser Botenstoffe ist die Konzentration gestört und Reize können nicht in wichtig und unwichtig unterschieden und entsprechend gefiltert werden. Es kommt zu einer Reizüberflutung, die sich schnell in der typischen Hyperaktivität äußert.
Medikamente (z.B. Ritalin (R), Concerta (R)) optimieren die Regulierung und können das Ausmaß häufig deutlich lindern. Diäten sollen die Symptome in einzelnen Fällen auch reduziert haben. Trainings können die Wahrnehmung stärken, den Abgleich zwischen Fremdbild und Eigenbild unterstützen und das Selbstwertgefühl erhöhen.
ADHS ist nicht heilbar! Betroffene können aber lernen, besser damit umzugehen. Sie können Bedingungen schaffen, die es ihnen und ihrem Umfeld erlauben, unbeschwerter zu leben und erfolgreicher zu arbeiten. Dadurch könnten Zeit und Kraft verwendet werden, die positiven Eigenschaften und Begabungen, die in jedem ADHS-Patienten stecken, zu erkennen und gezielt zu fördern. Je früher und intensiver, desto besser. Auch wenn es immer wieder Rückschläge geben wird – es lohnt sich! Denn jede Investition in eine Basisfähigkeit wird für viele Jahrzente Rendite in Form von Bestätigung und Zufriedenheit bringen.
Quellen
- ADHS Deutschland e.V., Selbsthilfe für Menschen mit ADHS (www.adhs-deutschland.de)
- Lilli Deutschland GmbH (www.lilly-pharma.de / www.info-adhs.de)
Autor
Reiner Gebers ist Gründer und Mehrheitsgesellschafter der Real Insight KG. Er unterstützt Medien und Services dabei, Digitale Geschäftsmodelle erfolgreich zu entwickeln und am Markt zu platzieren.
Real Insight KG ist eine Agentur für Kunden-zentrierte Innovation und Transformation.